Von Narzissten: Wenn die Masken fallen

04.02.2024

Noch vor einem halben Jahr hätte ich mir nicht träumen lassen einen solchen Blogpost zu schreiben, doch er scheint relevant und zeitgemäß, kann man doch vielerorts gerade beobachten, dass nun zunehmend überall die Masken fallen - und das nicht, weil es kurz vor Fasching ist.

Menschen mit Etiketten zu versehen kann ein Kontrollmechanismus sein

Bisher hatte ich mich immer geweigert, Menschen mit Etiketten zu versehen und sie in eine Schublade zu packen damit. Spinster, Einzelkind, Lesbe, Landei… Labels sind immer bedeutungsschwanger mit bewussten aber auch unbewussten Inhalten, die für die Betroffenen zu Fallen werden können, wenn sie sich auch nur im entferntesten damit identifizieren. Im eigentlichen Sinne sind die Projektionen, die der Manipulation dienen können und gesellschaftliche Kontrollmechanismen bedienen, die darauf abzielen den Menschen in seinem limitierten Bild über sich selbst und die Welt in der er lebt gefangen halten.

Diese Haltung habe ich vielleicht ein klein wenig zu weit getrieben. Da bin ich mir selbst nicht sicher, doch ich möchte nicht zu viel Zeit damit verschwenden, darauf herum zu reiten, sondern nur unser Bewusstsein dafür schärfen, was es mit uns macht und welche Bedeutung es für das Kollektiv haben kann, wenn wir es zulassen, dass auf alles und jeden ein Etikett geklebt wird.

Ein solches Etikett, um das ich mich bisher nicht kümmerte ist das des Narzissten. Vielleicht bin ich es auch unbewusst umgangen, weil es mir zu großen Schmerz bereiten würde. Doch seit einigen Monaten steht es ganz dick und fett im Raum und zeigt sich gerade zu dieser Zeit auch vermehrt auf der Bühne des Weltschauspiels.

Klinische Begriffe in die gesellschaftliche Norm zu integrieren schwächt ihre Bedeutung und wertet sie ab bis hin zur Lappalie.

Dabei sei vorweg gleich einmal etwas ausgeräumt (oder aufgeräumt). Es gibt in unserer Gesellschaft eine Tendenz, klinische, bzw. wissenschaftliche Begriffe durch die verstärkte Verwendung im Alltag zu "normalisieren" wodurch sie von ihrer ursprünglichen Bedeutung getrennt und auch in ihrem tieferen Gehalt abgeschwächt werden. Wenn solche Begriffe in den Alltagsgebrauch übergehen erfährt nicht nur die ursprüngliche Bedeutung eine Abschwächung, sondern auch die Menschen oder Situationen, die davon betroffen sind oder auf welche diese Begriffe zutreffen. So wird durch soziokulturelle Konditionierung eine schwerwiegende Disbalance oder Problematik zur Lappalie herabgesetzt.

Wenn es zum Trend wird, einen Menschen, der einem im sozialen Kontext quer kommt als "behindert" zu bezeichnen oder jemanden, der mit Nachdruck für sich selbst einsteht einen Narzissten zu nennen, um nur zwei Beispiele zu nennen, dann dürfen wir uns Gedanken darüber machen, was in der Gesellschaft gerade passiert.

Aus der MetaPerspektive ist das relativ klar. Die Abwertung und Normalisierung von negativ behafteten Begriffen oder Themen dient der Verzerrung von Dingen oder Zuständen, die möglicherweise gesellschaft-lich so einiges in Frage stellen könnten. Somit dringt möglicherweise der Schwierigkeitsgrad der Sache nicht so tief ins kollektive Bewusstsein vor. Auf diese Weise fliegen so manche gravierend wichtigen Themen oft viel zu lange unter dem Radar.

Doch wie mit allem im Leben rücken die Dinge ja in unseren individuellen Fokus, wenn sie auch anstehen - im göttlichen Timing sozusagen. Deshalb schreibe ich heute. Und zugegebenermassen bereitet dieser Blogpost im Grunde den Boden für einen, den ich schon länger in der Pipeline habe. Aber alles der Reihe nach. 

Was ist eigentlich Narzissmus und wie zeigt er sich?

An dieser Stelle möchte ich erst einmal beleuchten, was es mit Narzissmus auf sich hat. Alles, was ich hier schreibe ist eine Summe meiner Forschungen und meiner eigenen Erfahrungen. Ich bin weder Therapeut, noch Arzt oder gar Psychologe, insofern erhebe ich keinen Anspruch auf Richtigkeit mit dem, was ich hier sage. Jeder möge sich bitte selbst auf den Weg machen, sowieso alles, was erzählt wird mindestens drei Mal überprüfen und dann noch durch das eigene Herz laufen lassen, um zu erfühlen, ob es stimmig ist.

Nach allem, was ich weiß hat die narzisstische Persönlichkeitsstörung viele Ausprägungen, wahrscheinlich so viele wie es Menschen auf diesem Planeten gibt. Denn, wir dürfen uns klar machen, dann jede:r von uns diese Veranlagung in sich trägt.

Wenn dir an dieser Stelle der Atem stockt, oder Du dich selbst seufzen hörst, möchte ich meine eigene ganz intuitive Wahrnehmung mit dir teilen: Mit jedem Mal, wo Dich selbst fragst, ob Du möglicherweise ein Narzisst/eine Narzisstin bist, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass es so ist. Auf Saarländisch: Wenn Du denkst, Du bist einer, bist Du wohl eher keiner. Warum?

Weil ein wirklicher Narzisst selten weiß, dass er einer ist und sich deshalb diese Frage nicht stellt. Dies mag eine überspitzte Aussage sein, doch ich glaube sie ist eher wahr als falsch, denn was einem Narzissten fehlt ist die Fähigkeit der tiefen Selbstreflexion. Damit sind wir schon mitten im Thema. 

Menschen, die narzisstisch geprägt sind, sind von ihrem Selbst getrennt und haben somit einen begrenzten Zugang zu ihrer wahren Essenz. Auch wenn dies eine "ExpertenAussage" ist, die ich wiederholt gelesen habe, so empfinde ich sie als wahr, denn es ist das, was ich den Augen dieser Menschen wahrnehme. Eine Art Bruch in ihrem Kern. Anders kann ich es nicht beschreiben. Als wäre eine unüberwindbare Trennwand zwischen ihnen und ihrer Mitte, was unglaublich traurig ist.

Wie schon gesagt gibt es sicherlich viele Ausdrucksformen und Grade der narzisstischen Prägung. Da ich diesen Post eher generell halten möchte, halte ich mich daher erst einmal an die sogenannte "pathologische Definition" des Narzissten, und weil Verena König diejenige war, die mir in dieser Hinsicht die Augen geöffnet hat, möchte ich auch auf sie zurückgreifen. König hat ein unglaubliches Talent komplizierte und auch schmerzhafte Inhalte auf leicht verständliche und achtungsvolle Weise zu erklären.

So bedient Verena König nicht mal den Begriff des Narzissten, sondern benutzt die Bezeichnung "toxische Menschen". In ihrem Podcast #46 mit dem Titel "Toxische Menschen erkenne, verstehen, mit ihnen umgehen" beschreibt König ganz pragmatisch ein gewisses Grundmuster, nach dem eine Begegnung/Beziehung mit einem Narzissten meist verläuft. Nachfolgend gebe ich die einzelnen Phasen wieder. Ich halte mich hier an die maskuline Form, obgleich natürlich klar ist, dass sich das hier gesagte nicht nur auf Männer beschränkt.

Grundmuster eines Beziehungsverlaufs mit einem Narzissten

  1. Eine wundervolle, intensive erste Begegnung. Love Bombing - Es fliesst viel Anerkennung, Lob und Liebe. Der Narzisst vermittelt dir das Gefühl, dich zu sehen, dich zu erkennen in all deiner Glorie und Großartigkeit.
  2. Eine typisch narzisstische Weise der Manipulation ist "future faking". Der Narzisst spricht viel über das, was er erreichen möchte, zeichnet ein wundervolles Bild von der Zukunft, die er mit dir oder für dich sieht, was oft mit Versprechungen jeglicher Art einhergeht.
  3. Nachdem Vertrauen etabliert ist, beginnt sich das Verhalten ganz leicht zu verändern. Das kann Wochen, Monate dauern. Es ist oft subtil, meist so, dass man sich hinterher fragt, ob man sich das nun eingebildet hat (und so redet man es sich oft aus). Der Narzisst legt dir sein emotionales Wohlergehen auf die Schultern und gibt dir die Schuld, wenn es ihm nicht gut geht oder er seine Ziele nicht erreichen kann. Dies muss gar nicht großartig dramatisch sein, sondern kann in einem Nebensatz erwähnt werden. Wagst Du es, deine eigenen Bedürfnisse vorzubringen, wirst Du ignoriert oder als blöd, dumm, verrückt oder ähnliches bezeichnet.
  4. Das Verhalten ändert sich zunehmend und nun beginnt der Narzisst, dich auszugrenzen. Er bestraft mit Entzug von Aufmerksamkeit und "Liebe" wenn Du etwas getan hast, was nicht in Ordnung war, obgleich Du zumeist keinen Schimmer hast, was Du getan haben könntest.
  5. Er kontaktiert dich nur noch, wenn er dich für etwas braucht.
  6. Spätestens hier beginnst Du dich zu verändern. Du beginnst an dir zu zweifeln, deine Wahrnehmungen in Frage zu stellen. Du weißt nicht mehr, was richtig oder falsch ist und bist zunehmend verwirrt. Deine Sinneswahrnehmungen werden vernebelt und Du traust dir selbst nicht mehr, soweit, dass dein Selbst-Bewusstsein massiv leidet. Du beginnst zu analysieren, um zu verstehen. Dich selbst, aber zumeist ihn und die Situation. Dein innerer Konflikt nimmt stetig zu, denn Du bist dir im Grunde nicht sicher und möchtest auch nicht unrecht tun.
  7. Nach einem Kontakt, ob physisch oder am Telefon fühlst Du dich leer, gefühllos und ausgelaugt.

Dies ist das grobe Ablaufmuster, das König erklärt. Natürlich kann diese Dynamik in jeder Art von Beziehung ablaufen, in Partnerschaft, Familie, am Arbeitsplatz, der Freundschaft, usw. 

Narzissten haben ein hohes Maß an emotionaler Intelligenz

Wichtig ist noch zu verstehen, dass Narzissten Meister der emotionalen Intelligenz sind. Sie beobachten und analysieren andere Menschen, lesen sie oft wie ein offenes Buch und finden entsprechend leicht die Öffnungen, wie sie beim anderen emotional einhaken können. Empathie geht ihnen vollkommen ab, doch sie sind extrem kompetent darin, diese glaubwürdig vorzutäuschen.

Nicht selten basiert dieser "Haken" auf dem Helfersyndrom der anderen Person. Der andere spürt instinktiv, dass mit diesem Menschen etwas nicht stimmt, bildet sich ein, wenn er/sie nur genug Geduld mit ihm hat, wird er eines Tages "aufbrechen" und alles einsehen. Sein Herz wird sich öffnen, und er wird begreifen...

Diese und weitere Dynamiken entwickeln sich oft zwischen besonders empathischen Menschen und einem Narzissten, doch die erfahrene Therapeutin König setzt hier eine klare Grenze.

Der Narzisst kann nicht gerettet werden. Das einzige was hilft ist ein Schnitt aus der Situation heraus und die Trennung. Sie spricht von einem sehr schmerzhaften Erwachen, wenn man zum ersten Mal realisiert, dass man eiskalt ausgenutzt, benutzt und betrogen wurde von diesem Menschen. Ich sehe an dieser Stelle fast die Köpfe reihenweise bedächtig nicken.

Über dieses Nicken und was danach kommt werde ich im nächsten Blog schreiben, wenn ich das Thema "Trauma" angehe, für den Moment möchte ich mich auf das Thema hier konzentrieren.

In der Gesellschaft herrscht die etwas verzerrte Vorstellung vor, dass ein Narzisst meist offensichtlich aggressiv ist, seinen Zorn verbal oder physisch zum Ausdruck bringt und seine Umgebung mit seiner Wut unter Kontrolle hält. Das kann so sein, muss aber nicht, und ich glaube fast, dass es in der Realität oft ganz anders ist.

Manche Narzissten können unglaublich berechnend vorgehen, Meister ihrer Ausdrucksweisen sein und selten die Beherrschung verlieren. Es ist wichtig zu verstehen, so König, dass man Narzissten nicht "retten" kann und dass die oberste Priorität ist, sich selbst in Sicherheit zu bringen.

Dies mag sich alles schrecklich anhören, und ehrlich gesagt fühle ich mich nicht besonders während ich diese Worte ins Keyboard tippe. Ich möchte lediglich Gewahrsein dafür schaffen, dass dies eine Thematik ist, die in unterschiedlichsten Facetten auftreten kann und somit vielen noch gar nicht bewusst ist. Und dabei lege ich bewusst wert darauf, nicht nur nach Außen zu schauen - wo in meinem Leben bin (oder war) ich von Narzissten umgeben. Nein, eher die Frage, wo bediene ich mich selbst solcher Verhaltensmuster. Bewusst oder unbewusst. 

Ich sage dies mit Gewissheit und Nachdruck, weil ich es in den vergangenen Monaten genauso erlebt habe. Zum einen durfte ich erkennen, dass wir uns oft etwas schön reden und die Realität einer Situation aus Angst vor Veränderung nicht anderkennen wollen (wir "Spiris" sind großartig darin, etwas zu "spiritualisieren"; zum anderen sehe ich an mir selbst, dass ein hohes Maß an Gewahrsein gegenüber den eigenen Verhaltensmustern dienlich sein kann, wenn wir unsere Schatten aufspüren möchten, um sie letztlich ins Licht zu heben und uns zu befreien. 

Schliessen möchte ich mit ein paar meiner eigenen Gedanken. 

Ich glaube ganz fest daran, dass Menschen von Natur aus nicht schlecht sind. Wenn sich ein Mensch scheiße entwickelt, dann hat er meist Scheiße erlebt. Hier halte ich mich an den Satz:

Traumatisierte Menschen traumatisieren Menschen.

Ich sage schon seit Jahren, dass es in dieser 3D Matrix keine Täter gibt, nur Opfer, und genau darum wird sich mein nächster Blog drehen.

Wer sich bis dahin noch tiefer einlesen möchte, dem empfehle ich die Webseite von Andreas Gauger oder auch weitere Podcasts von Verena König, die in ihrem YT-Kanal zu finden sind.



Ganz wichtig: Alles hier Geschriebene entspringt meiner eigenen Erfahrung oder Forschungen. Ich bin weder Therapeutin noch Ärztin noch habe ich professionell in irgendeiner Form mit dem Thema zu tun. Insofern erhebe ich keinen Anspruch auf Richtigkeit und bitte jeden Leser, eigene Forschung zu betreiben und sich im Zweifelsfall kompotente, fachliche Unterstützung zu holen.