Vom Loslassen und der schweren Kindheit dahinter - Teil II

15.05.2024

Im letzten Post, der HIER zu lesen ist, habe ich den Scheinwerfer auf das Thema "TraumaBonding" gerichtet, weil es eine häufige Ursache ist, wenn wir uns sehr schwer tun von etwas oder jemandem zu lösen Wie oft weiss unser Verstand dass eine Situation nicht gut für uns ist, doch etwas in uns tut sich schwer, einen endgültigen Schlussstrich zu ziehen.

Spannend, dass gerade heute, wo ich mich diesem Beitrag hier widme, ein Mitglied in unserer FacebookGruppe von ihrer momentan sehr schwierigen Situation berichtete. Die Frau schrieb, dass sie nach der Trennung von ihrem Ex weiss, dass sie eigentlich allen Kontakt abbrechen müsste. Doch, sie spürt, wenn sie ihn blockt, erzeugt das in ihr Panik, wenn sie ihn nicht blockiert, dann schaut sie hundert Mal am Tag, ob er nicht doch vielleicht eine Nachricht geschickt hat oder wann er online war. Sie weiß genau, dass sie den Mann blockieren muss, doch etwas in ihr "schreit nach ihm und kann nicht loslassen".

--> Das ist TraumaBonding.

Sicherlich ein recht ausgeprägtes Beispiel, doch allemal eines, das die Dynamik deutlich macht um die es hier geht. Letztere spielt sich nicht zwangsläufig nur in Liebesbeziehungen ab, sondern sie kann auch auf mehr oder weniger subtile Weise in vielen unserer alltäglichen Beziehungen gegenwärtig sein.

Wie schon im letzten Beitrag benutze ich die Namen "Tabula" und "Uroba" synonym für "Täter" und "Opfer". In unserer Gesellschaft wird ja schnell abgeurteilt, und ich kann schon die Stimmen hören, die sagen, "naja, Uroba hat ja auch echt einen am …". Die Stimme kenne ich, denn die hörte ich in meinem Kopf, als ich in meinen Zwanzigern die ersten Erfahrungen mit TraumaBonding machte. So einfach ist es aber leider nicht.

Wo ich mich früher selbst verurteilte, weil ich den gesellschaftlichen Normen folgte (und nie genügte) sehe ich heute ganz klar eine Form von Opferbeschuldigung, eine Masche der schwachen Glieder der Gesellschaft, die es nicht besser wissen, als anderen in Form von Projektion die Schuld für ihr eigenes menschliches Versagen zu geben.

Tatsächlich macht Uroba in der zuvor beschriebenen Situation eine ganze Menge durch. Ihr Nervensystem ist vollkommen überreizt und ihr Gehirn erlaubt ihr keinen Weg aus der Spirale in der sie sich befindet, weil es irgendwann einmal gelernt hat, dass dies der einzige Weg ist, zu überleben. Es ist quasi ein Kampf ums eigene Überleben, der Uroba womöglich gar nicht voll bewusst ist. Und der Grundstein dafür wurde schon vor langer Zeit gelegt und diese Situation ist im Grunde "nur" eine Wiederholung.

Um es mal in klarem Deutsch zu sagen: Die Kindheit war scheiße, und später wird es auch nicht besser.

Im Gegenteil, laut den Erkenntnissen der Neurobiologie graben sich die emotionalen Reaktionen auf das Erfahrene stetig tiefer in die neuronalen Bahnen des Gehirns ein und werden stärker je älter wir werden. Von wegen, die Zeit heilt alle Wunden!
Erleben wir also später im Leben Situationen, die dem ursprünglichen Drama ähneln oder es in einer Form wiederholen, sagen Gehirn und Nervensystem "oh GottohGott, das kennen wir" und verlinken es mit der emotionalen Reaktion und rufen diese in uns ab. Sie spielt dann wie eine Schallplatte, und es kann enorm schwierig bist nahezu unmöglich sein, den AusKnopf zu finden, weil die Rillen der Platte schon so tief sind.
Oftmals braucht Uroba an dieser Stelle in der heutigen Situation Unterstützung von Aussen. In der Situation, die den Ursprung für das heutige Drama gesetzt hat, hatte Uroba diese leider nicht.

Der physiologische Aspekt des Dramas

Es macht also etwas mit uns auf der psychisch/emotionalen Ebene. Und natürlich auch auf der mentalen Ebene, denn ein ganz wichtiger Faktor in dieser Dynamik ist die Verwirrung, die Uroba erfährt, die sich mit der Zeit sogar in eine Einschränkung von kognitiven Funktionen ausweiten kann.

Im Grunde reagiert jedoch das gesamte System auf das Erlebte, so auch die Hormonlage des Körpers. Der immer wiederkehrende Zyklus von Nähe/Zuwendung/Aufmerksamkeit und Distanz/Bestrafung/Ablehnung verursacht im Körper die Ausschüttung des Glückshormons Dopamin und respektive des Stresshormons Cortisol. Mit der Zeit gewöhnen sich die Rezeptoren des Nervensystems, das Gehirn und das gesamte System an diese Achterbahnfahrt und … werden süchtig danach.
So kommt es, dass TraumaBonding nicht nur ein "äußeres und erlerntes" Muster ist, dem wir folgen, weil es sich irgendwann in frühen Jahren etabliert hat, sondern ihm zugrunde liegt eine Art Sucht des Körpers, der bestrebt ist, die Dopamin-Cortisol-Achterbahn zu fahren.

Dies erklärt, warum manche von uns in ihrem Leben oftmals auf eine Situation des Glücks und der Harmonie das Gegenteil erleben. Ein traumatisiertes System ist süchtig nach Drama - eine nicht zu unterschätzende wissenschaftlich gestützte Tatsache.
Schöne Kacke.

In diesem Kreislauf möchte ja kein Mensch freiwillig stecken bleiben!

Was tun? ist die Million-Dollar-Frage

Selbstreflexion, das Gewahrsein über die eigenen Muster, coAbhängigkeiten und TraumBonds zu schärfen, und den (wieder)Aufbau der eigenen Identität in Angriff zu nehmen sind Schritte auf dem Weg zur Heilung. Therapeutische Unterstützung oder Hilfe von einem TraumaCoach zu erhalten ist ganz bestimmt hilfreich und kann für viele ganz, ganz wichtig sein.

Ich spreche nun aus eigener Erfahrung, wenn ich sage, es hilft der Therapie ungemein, wenn man weiß, was die eigentlichen teilweise noch so kleinen Stressoren sind. So habe ich in den letzten Monaten gelernt, meinen Körper genauer zu beobachten und schneller zu erkennen, wann er Cortisol ausschüttet. Indem ich mein Gewahrsein schärfe, kann ich klarer erkennen, was die Muster sind, die sich abspielen und kann a. Eruieren wo sie geformt wurden, und b. daran arbeiten, mich davon zu lösen und die Muster zu deaktivieren.

Ohne Frage ist dies ein echter Prozess. Es geht drei Schritte vorwärts, dann auch mal zwei Schritte zurück. Doch insgesamt liegt über der gesamten Erfahrung eine deutliche Ahnung der Befreiung.

Ich lerne mehr und mehr, schon die ersten Anzeichen besser zu lesen und dann Maßnahmen zu ergreifen, mein Nervensystem zu regulieren und damit auch den CortisolSpiegel wieder zu senken. Zusätzlich praktiziere ich einige hilfreiche Maßnahmen wie Brainspotting und Tapping, aber am allermeisten hilft mir somatische Arbeit. Diese super einfachen Übungen, die von Dr. Peter Levine entwickelt wurden, haben eine unglaubliche Wirkung.

Dr. John E. Sarno erklärte in seinem bereits 2006 veröffentlichen Bestseller "The Divided Mind" (dt. Version: "Frei von Schmerz") bereits, wie der Körper Emotionen einschliesst, die wir nicht fühlen wollen oder können, doch wenn wir mit ihm arbeiten, entlässt er sie auch wieder. Aufgestautes Trauma durch somatische Übungen zu entlassen ist eine spannende Sache … schütteln, zittern und weinen sind normal, aber finden nur kurzzeitig statt und danach wird es leicht und frei, und vor allem eines: klar.

Je länger ich diesen Weg gehe, desto klarer werde ich, sehe ich, fühle ich, und desto bewusster wird mir, wie unglaublich mächtig mein bester Freund - mein Körper - in Wirklichkeit ist. Er ist wahrlich der Tempel unseres Seins, der all unsere Ehrfurcht und Respekt verdient.

Selbstreflexion und somatische Arbeit sind jedoch nur zwei Maßnahmen, die wir ergreifen können, um TraumaBonding zu lösen. Ich sehe da viel Potential für weitere.

 
Die 7 wichtigsten Schritte zur Lösung von TraumaBonding

Erkennen der Dynamik: Grundlage ist, erst einmal zu erkennen, was TraumBonding ist und wo es sich im eigenen Leben abspielt. Dazu gehört, dass man sich das eigene Drama/Trauma, die Prägung der formenden Jahre (von 1 bis 7) bewusst macht und mit Blick darauf die eigene Biografie anschaut. Zu erkennen, an welchen Stellen im eigenen Leben diese ungesunden Dynamiken gewirkt haben kann absolut bewusstseinserweiternd wirken und bereitet die Basis für die SelbstHeilung.
Informationen sammeln: Dann ist es wichtig, sich grundlegende Informationen einzuholen, um die Entstehung von Trauma Bonding und die Auswirkungen von Missbrauch und Trauma zu verstehen. Das Verständnis der eigenen Situation kann helfen, die Dynamik der Beziehung zu verstehen und Wege zur Heilung zu finden.

SelbstFürsorge: Es ist imminent wichtig, zu lernen, gut für sich selbst zu sorgen. Lernen über Trauma beinhaltet zwangsläufig, das eigene Nervensystem besser zu verstehen. Um in dem Prozess der Lösung und Heilung stabil bleiben zu können, ist es enorm wichtig, zu lernen, wie das eigene NS reguliert werden kann. Daraus entsteht ein neues Gewahrsein für Grenzen auf allen Ebenen und wie die eigenen Bedürfnisse besser wahrgenommen werden können. Die Praktik der SelbstFürsorge ist DER Schlüssel zur Heilung.

Therapeutische Arbeit: Dazu zählen aus meiner Sicht die Arbeit mit einer professionellen Fachkraft, einem TraumaCoach, besonders auch die somatische Arbeit. Je nach Schwere oder Tiefe der Erfahrung kann es ganz, ganz wichtig sein, sich professionelle Unterstützung zu holen. Somatische Arbeit ist aus meiner Sicht ein absolutes muss, damit der Körper beginnt, die gespeicherten Emotionen loszulassen und die Energie wieder fliessen kann, denn diese wird für die Heilung benötigt, auf allen Ebenen.

Unterstützungsnetzwerk: Wenn ich eines gelernt habe in den letzten Monaten ist es, dass Menschen, die sich ihres eigenen Traumas und den daraus resultierenden TraumaBondings noch nicht bewusst sind, mich nur schwer verstehen können. Es ist wichtig und sehr heilsam, Menschen zu haben, die einem in dieser Lebensphase mit liebevollem Verständnis und Mitgefühl begegnen.

Vergebungsarbeit: In der Vergebung liegt die Kraft der Beschleunigung zur Heilung. Dabei ist wichtig, anderen aber vor allem sich selbst zu vergeben.

Zeit und Geduld: Es gibt kein richtig oder falsch hier. Forciert werden kann ein solcher Prozess nicht, und wenn wir ihn forcieren, dann reagiert sehr wahrscheinlich das Nervensystem mit Überreizung, was eher hinderlich ist. Es braucht was es braucht und es dauert so lange, wie es dauert. Aus dem Hamsterrad der konditionierten Erwartungen einer Leistungsgesellschaft auszusteigen bringt inneren Frieden und Freiheit, besonders hier. Es ist Zeit, dass wir lernen, gütig und liebevolle mit uns selbst zu sein.

Alle TraumaExperten sprechen davon, dass ein durch TraumaBondung geschädigter Mensch ein Stück weit seine eigene Identität verliert. Mir ist es wichtig, zu betonen, dass mit Unterstützung, Selbstreflexion und therapeutischer Arbeit eine Heilung und ein Wiederaufbau der eigenen Identität möglich sind. Diese Ansicht vertreten auch Dr. Peter Levine und Dr. Gabor Mate, und beide halte ich für weise Männer dieser Disziplin, denen ich vertraue und Glauben schenke.

Die Dynamik von TraumaBonding tritt in allen Bereichen unseres Lebens auf, es muss sich nicht zwangsläufig um eine partnerschaftliche Beziehung handeln. Auch mit Freunden:innen, im Berufsleben, im SportTeam, in der Nachbarschaft, etc. findet diese Beziehungsform Ausdruck.

Beginnen wir unsere Beziehungen zu hinterfragen, weil sich gewisse Erfahrungen mit anderen Menschen in unserem Leben stetig wiederholen, ist es sicher möglich einige Schritte alleine zu gehen. 

Kommst Du auf dieser Reise an einen Punkt, wo sich Überforderung, Verwirrung oder gar gesundheitliche Themen einstellen, dann ist es wichtig, dir Unterstützung zu suchen!

Noch einmal ist mir wichtig zu betonen, dass ich weder Psychologin noch Therapeutin bin und meine Darlegungen hier auf meiner eigenen Erfahrung und Sichtweise zum Thema beruhen. Meine Beiträge sind nicht als Diagnose oder Therapie zu verstehen, und Menschen, die tiefgreifendem Trauma ausgesetzt waren oder sind sollten sich unbedingt professionelle Hilfe holen.