Vom Loslassen und der schweren Kindheit dahinter - Teil I
Kennst Du das? Du weisst genau, der Mensch, der Job, die Situation, die Gruppe tun dir nicht gut, doch es fällt dir unfassbar schwer, dich davon zu lösen. Du weisst eigentlich gar nicht warum, denn kognitiv gesehen hast Du das vollkommen klar, und doch … es gibt da eine Schwelle, die Du nur schwer oder gar nicht überschreiten kannst.
Ich selbst hatte das oft in meinem Leben und wurde durch einen Podcast, den Caroline Strawson gestern veröffentlichte nochmals darauf hingewiesen. In einigen Situationen fiel mir das Ablösen total leicht, in anderen unendlich schwer. War letzteres der Fall wand ich mich für eine gefühlte Ewigkeit, fand alle möglichen Wege mir etwas schön zu reden (oder auszureden!). Alle Argumente waren letztlich nur Ausreden, weil ich nicht bereit war, mir einzugestehen, dass ich einfach nicht konnte. Ja, ich konnte nicht.
Ich wusste nicht, wie ich meinem gefühlten Elend ein Ende bereiten sollte.
Auf den ersten Blick mag es "einfach Angst" sein, die uns in diesen Momenten beherrscht. Doch da gibt es noch eine weitere Sichtweise und mögliche Erklärung: TraumaBonding.
TraumaBonding ist ein Begriff aus der TraumaTherapie, der ein recht komplexes psychologisches Phänomen beschreibt, das oft in toxischen oder missbräuchlichen Beziehungen auftritt. Es beschreibt die starke emotionale Bindung, die Opfer zu ihren Tätern entwickeln, selbst wenn sie misshandelt oder missbraucht werden.
Man kann es mit dem StockholmSyndrom vergleichen, das vielleicht eher bekannt ist.
Fakt ist, dass diese Art von Bindung eine tiefgreifende Auswirkungen auf das Verhalten, die Gedanken und die emotionale und körperliche Gesundheit der Betroffenen haben kann.
Bevor ich etwas tiefer einsteige, möchte ich zuerst den Prozess des TraumaBondings näher betrachten. Im meinen nachfolgenden Erläuterungen benutze ich für die Position des "Täters" den Begriff oder Namen "Tabula" und für das "Opfer" den Begriff oder Namen "Uroba". Warum?
Mir widerstrebt es, die landläufige Täter-Opfer-Dynamik zu bedienen. Auch wenn das Verhalten eines Narzissten für Betroffene schlimm ist, so sind doch N. auch tief traumatisierte Menschen und für die Betroffenen versteckt sich hinter dieser Erfahrung die größte Chance ihres Lebens. Jedenfalls aus meiner Sicht. Dazu mehr in einer gesonderten Veröffentlichung, doch erst einmal zu den …
7 Phasen von TraumaBonding und wie sie sich aus Kindheitstrauma entwickeln können
1 - Anziehung und Idealisierung
In dieser Phase, die landläufig auch Love Bombing genannt wird, wird Uroba mit Zuneigungsbekundungen überwältigt. Oft werden hier Geschenke gemacht, oder - in romantischen Beziehungen - sehr früh von Liebe und der Zukunft gesprochen. Hier werden die positiven Eigenschaften von Tabula betont, während negative Aspekte oft ignoriert oder rationalisiert werden. Uroba kann sich von der vermeintlichen Liebe und Fürsorge des Täters angezogen fühlen und eine Idealvorstellung von der Beziehung entwickeln.
Herleitung aus Kindheitstrauma: Kinder, die in dysfunktionalen Familien aufwachsen oder Vernachlässigung oder Missbrauch erfahren, können lernen, sich nach Liebe und Anerkennung zu sehnen. Sie können dazu neigen, toxische Verhaltensweisen als Normalität zu internalisieren und sich zu Tätern hingezogen zu fühlen, die Ähnlichkeiten mit ihren traumatischen Erfahrungen aufweisen.
2 - Bindung und Abhängigkeit
Tabula kann bestimmte Handlungen ausführen, um als vertrauenswürdig zu gelten. Wird die Vertrauenswürdigkeit angezweifelt, ist Tabula schnell beleidigt und ärgert sich, dass überhaupt an ihm/ihr gezweifelt wird. In dieser Phase entwickelt Uroba eine starke emotionale Bindung zu Tabula und gerät zunehmend in eine Abhängigkeit (emotional und energetisch). Urobas Gedanken drehen sich verstärkt um Tabula, und es entsteht ein intensives Verlangen nach Tabula Zustimmung und Nähe.
Herleitung aus Kindheitstrauma: Kinder, die in einem Umfeld aufwachsen, in dem ihre Bedürfnisse nicht erfüllt werden oder in dem sie traumatische Erfahrungen machen, können sich nach Sicherheit und Stabilität sehnen. Dies kann dazu führen, dass sie sich an Täter klammern, die ihnen eine illusionäre Form von Sicherheit und Fürsorge bieten.
3 - Zyklen von Belohnung und Bestrafung
In dieser Phase erlebt Uroba eine Wechselwirkung zwischen Belohnungen und Bestrafungen seitens Tabula. Positive Interaktionen werden mit Liebe und Zuneigung belohnt, während negative Interaktionen mit Bestrafung oder Zurückweisung beantwortet werden. Sehr oft wird letzteres in Form von Ghosting umgesetzt, was auch zu Ausgrenzung in Gruppen oder Verbänden führen kann.
Herleitung aus Kindheitstrauma: Kinder, die mit unberechenbaren oder inkonsistenten Bezugspersonen aufwachsen, können lernen, dass Liebe an Bedingungen geknüpft ist und dass sie durch das Erfüllen von Erwartungen oder das Vermeiden von Bestrafung Zuwendung erhalten. Sie können diese Muster in späteren Beziehungen wiederholen und sich zu Menschen hingezogen fühlen, die ähnliche Verhaltensweisen wie der Elternteil oder die Eltern zeigen.
4 - Gefühl der Verpflichtung
In dieser Phase fühlt sich Uroba verpflichtet, Tabula zu dienen und Tabulas Bedürfnisse über die eigenen zu stellen. Uroba entwickelt ein starkes Schuldgefühl und denkt (unterbewusst), dass der Missbrauch, das Ghosten möglicherweise verdient ist.
Herleitung aus Kindheitstrauma: Kinder, die in einer Umgebung aufwachsen, in der ihre Bedürfnisse vernachlässigt oder missachtet werden, können lernen, dass sie für das Wohlergehen anderer verantwortlich sind und dass ihre eigenen Bedürfnisse unwichtig sind. Sie können sich in späteren Beziehungen dazu verpflichtet fühlen, die Bedürfnisse anderer über ihre eigenen zu stellen, selbst wenn dies zu ihrem eigenen Schaden ist.
5 - Isolation und Kontrolle
In dieser Phase isoliert Tabula Uroba von Urobas Unterstützungssystem und übernimmt zunehmend die Kontrolle über Urobas Leben. Uroba fühlt sich zunehmend isoliert und abhängig vom Tabula.
Herleitung aus Kindheitstrauma: Kinder, die in einem Umfeld aufwachsen, in dem ihre Bedürfnisse und Gefühle nicht respektiert werden, können lernen, dass sie keine Unterstützung oder Schutz von anderen erwarten können. Sie können dazu neigen, sich von ihren Unterstützungssystemen zu isolieren und sich an Täter zu klammern, die Kontrolle über ihr Leben ausüben.
6 - Entfremdung von Selbst und Realität
In dieser Phase verliert Uroba zunehmend den Kontakt zu sich selbst und der eigenen Realität. Uroba identifiziert sich stark mit Tabula und verliert das Bewusstsein für die eigenen Bedürfnisse, Werte und Grenzen. An dieser Stelle setzt massiver psychologischer Stress ein. Das Gefühl emotional taub oder abgestorben zu sein, sich von allem zurückziehen zu müssen, ein Gefühl der Überforderung ist typisch bis him zu SuizidTendenzen.
Herleitung aus Kindheitstrauma: Kinder, die in einem Umfeld aufwachsen, in dem ihre Identität und Autonomie nicht respektiert werden, können lernen, ihre eigenen Bedürfnisse und Gefühle zu unterdrücken. Sie können sich in späteren Beziehungen stark mit Tätern identifizieren und ihre eigenen Bedürfnisse und Grenzen vernachlässigen.
7 - Zerfall und Wiederaufbau
In dieser letzten Phase bricht die Trauma-Bindung schließlich zusammen, und Uroba beginnt, sich von der toxischen Beziehung zu lösen. Es kann zu einem schmerzhaften Prozess des Wiederaufbaus der eigenen Identität, Autonomie und Selbstachtung kommen.
Herleitung aus Kindheitstrauma: Kinder, die in einem Umfeld aufwachsen, in dem ihre Bedürfnisse und Gefühle nicht respektiert werden, können lernen, sich von toxischen Beziehungen zu lösen und ihre eigenen Bedürfnisse und Grenzen zu respektieren. Sie können lernen, sich selbst wieder aufzubauen und gesunde Beziehungen zu entwickeln, die auf gegenseitigem Respekt, Unterstützung und Liebe beruhen.
Wie schon zuvor erwähnt ist TraumaBonding eine Dynamik, die in Zyklen stattfindet, sich also in unregelmässigen Abständen wiederholt. In meiner Erfahrung ist es so, dass Tabula den Prozess immer wieder von Phase 1 bis 6 wiederholt solange sich Uroba nicht auf den Weg zur Befreiung macht. Innerhalb dieser Dynamik können aus meiner Sicht auch die Phasen 3 bis 5 verschwimmen und ineinander greifen; gleichzeitig sei gesagt, dass diese Art von Beziehungsdynamik im Leben in vielerlei Ausdrucksformen annehmen kann.
... welche Ausdruckformen dies sind und was TraumaBonding mit uns auf der physiologischen Ebene anstellen kann beleuchte ich im zweiten Teil dieses Beitrags. Coming soon!
Hier ist mir wichtig zu erwähnen, dass ich weder Psychologin, HP noch TraumaTherapeutin bin sondern mich noch in der Ausbildung zum Trauma-informierten Coach befinde. Deshalb bitte ich jeden, der dies hier liest und das Gefühl hat, Unterstützung auf diesem Gebiet zu benötigen, sich fachlich kompetenten Beistand zu holen. Ich verweise hier ausdrücklich darauf, dass diese Informationen meiner eigenen Forschung entspringen und nicht als klinisch akkurate Diagnosen zu verstehen sind.
Quellen:
https://www.verywellmind.com/trauma-bonding-5207136
https://podcasts.apple.com/de/podcast/trauma-narcissism-redefined/id1527479270?i=1000653269347
https://umgang-mit-narzissten.de/traumabonding-in-den-faengen-eines-narzissten/